Zuschauer: 8.900
Östersunds FK away. Na klasse.
Meine durch die 2:6-Niederlage gegen Leverkusen und die direkte Qualifikation „auf der Couch“ eh schon etwas gehemmte Europapokaleuphorie sollte über den Sommer zwar wieder an Fahrt aufnehmen, von Henrik Larsson und seiner Fähigkeit, möglichst unattraktive Gegner für Hertha zu ermitteln, aber doch wieder jäh gebremst werden.
Und so erwische ich mich dabei, wie ich in Vorbereitung auf dieses journalistische Meisterwerk hier recherchiere, warum die drei uns zugelosten Clubs eigentlich so kacke sind, um ein bisschen negative Grundstimmung zu erzeugen. Ich komme zu folgenden Ergebnissen:
- Bilbao ist nach allem, was ich gehört habe, ein hässliches Industriemoloch im Norden Spaniens, in der es alles andere als warm ist um diese Jahrzeit. Von wegen Sandstrand.
- Luhansk ist, nach Anwendung all meiner in der 7. Klasse erworbenen Geographiekenntnisse das östlichste Los, das man in dieser Europaleague bekommen kann – wäre da nicht Astana, das aber überhaupt nur wegen irgendwelcher bürokratischer Kniffe zur UEFA gehört, die sich nicht an die mir eingehämmerten europäischen Grenzen aus Uralgebirge, Uralfluss, Kaspisches Meer usw. usf. hält. Ach ja, und außerdem ist in Luhansk Krieg!
- Und schließlich Östersund, gelegen im schwedischen Nirgendwo und im Teilnehmerfeld der 48 Europaleague-Mannschaften dem UEFA-Koeffizienten zu Folge auf Platz 48.
Europacup-Stimmung? Nee! Und doch:
Bilbao kann mit einer schönen Altstadt, interessantem Nachtleben und einer bewegten Geschichte aufwarten. Luhansk spielt nicht in Luhansk, sondern in Lemberg – das heißt zwar nicht, dass man alle Zähne behalten darf, dafür aber die zweitgrößte Stadt (bestimmt bekannt für ihre Kieferchirugie) der Ukraine besuchen und besichtigen kann. Und schließlich verspricht Östersund, zumindest auf der Fahrt dahin, mit Seen, Natur und Elchen zu beeindrucken. Last but not least: Wir sind so gut wie weiter. Jedenfalls sagen das alle.
Also irgendwie doch: Endlich wieder Europa, endlich wieder durch die Lande gurken um an kalten Donnerstagabenden mit 100, 200 oder 500 anderen Herthanern den Berliner Jetset zu repräsentieren.
Und damit dann zum ersten Spiel: Östersunds FK. Wer die sind, wurde hier schon ausreichend beschrieben. Wie man hinkommt, wurde während des Spiels vom KFC Uerdingen gegen die SG Wattenscheid 09 recherchiert. Die Flüge nach Östersund waren alle so wenig erschwinglich, dass man die Route über Stockholm wählte. Diese war nicht zuletzt deswegen so preiswert, weil sich AirBerlin in der Vergabe von Schokoherzen dermaßen verkalkuliert haben muss, dass auch lange unklar war, ob das überhaupt was wird. Es wurde!
Der Flieger voll bis oben hin mit Duty-free-Shop-kaperndem Hertha-Volk, darunter auch unsere Reisegruppe bestehend aus Oranienburger Rosinenpickern und das, was man in Ultrakreisen wohl gemeinhin als Gruppa-Süd-Umfeld bezeichnen würde – was auch immer das bedeutet. Lediglich Stirni brauchte ne Extra-Wurst und flog per Privatjet aus Frankfurt ein. Dank meiner Ostsozialisierung waren wir aus der Autovermietstation schnell raus und auf der bestens ausgebauten Autobahn mit spurhalte- und tempomatfähigen 110 Stundenkilometer unterwegs Richtung Norden. Tempomat gab es, Spurhalteassistent nicht, und Radio auch nicht. Mau machte seine anfängliche Beifahrerschaft derart gut, dass er sogar währenddessen mal das Steuer halten durfte und ich mich so mit allerhand schwedischem Blätterteiggebäck vollkrümeln konnte. Das Radioproblem wurde durch den Erwerb eines Klinkenkabels gelöst – gepaart mit dem Stopp zum Einkauf von Verpflegung, verflogen die ersten zwei Stunden derart, dass ich weiterhin das Gefühl hatte, kaum außer Sichtweite vom Flughafen zu sein (Zeitplan ick hör dir trapsen). Um das eigene Stresslevel zu senken und bevor der Streit zwischen ständig nach Pinkelpausen schreienden Mitfahrern und Fahrer (also mir) eskalierte, entschied ich die Seiten zu wechseln und nun bald selber nach Pinkelpausen zu schreien. Welt, du kannst so einfach sein.
Die Fahrt verlief mit jenem Klinkenkabel, das Marens Smashhits der Jahre 1990 bis 2005 in die lediglich hinten dröhnende Schnarrbox transferierte, Wilthi und Luft genauso wie jede andere. Die einen waren besoffen, die anderen genervt. Feuchtfröhlich wurde Paul-Peter kurzerhand aus dem Auto ausquartiert und in den eierschalenbeigen oder perlmuttweißen Clio von Bötte verfrachtet, um mit Robie ein äußerst bereitwilliges Opfer für Witze jeder Art – Bombers Schwester hatte durch Bighead auf Instagram aufgespürt längst das Interesse aller Insassen geweckt – zu finden. Durch die vielen Pinkelpausen und die von der Europäischen Union aufoktroyierten und von den Schweden umgesetzten künstlichen Staupausen wurde der Zeitplan dabei enger und enger (böse Zungen würden das Gegenteil von Bombers Schwester behaupten, aber das kann allenfalls Klamauk der übelsten Sorte gewesen sein).
Trotzdem pünktlich, hat sich Hertha dieses eine Mal nicht im Auswärts-Modus, dafür aber im Away-Mode präsentiert. Eine anfänglich überraschende Phase der Überlegenheit gipfelte im Scheitern Ibisevics aus etwa 12 Zentimetern vor der Torlinie und einem fragwürdigen Handelfmeter für die Gastgeber. Die anschließenden 70 Minuten versuchte es Hertha folgerichtig mit Handball-Fußball oder langem Hafer – und wenn die Ideenlosigkeit nicht mehr zu überbieten war, schob man Pekarik den Ball zu, der mit der Präzision eines Toni Kroos die Bälle über den Strafraum drosch. 1:0 für Östersund also der Endstand.
Dem üblich dünnen Gelaber auf dem Parkplatz vor einem Stadion folgte die übliche Bighead-Aktion, der im Nachsuff beim Anziehen seiner Rückfahrjogginghose (klar) sein Portemonnaie verlor und damit den üblichen Zorn meinerseits auf sich zog. Böttes OHV-Monatskarte gewährte uns Einlass in den bereits hochsicherheitsabgesperrten Gästeparkplatz, und Herthaner (überhaupt die ur-ehrlichsten und aufrichtigsten Menschen auf der ganzen Welt) übergaben das Portemonnaie zurück an den Suchenden – wahrscheinlich mit mehr Geld als zuvor darin. Anders als auf der Hinfahrt kamen wir hervorragend durch Schwedens dunkle Wälder und waren dank der sicheren Fahrkünste von Mau und Maren alsbald am Flughafen. Der übliche Støp in Michendørf zum Ausmisten und Generalüberholen des Mietfahrzeugs läutete schließlich eine komatöse Phase geistiger Umnachtung ein, in der wir es irgendwie zum einen Flughafen und dann zum anderen Flughafen schafften. Irgendwann in dieser Zeit muss ich meinem Sitznachbaren mehrmals auf die Schulter gesabbert haben – dieser quittierte meine in krächzendem Englisch hervorgebrachte Entschuldigung mit einer ungewollten Einschätzung des ersten Europapokalauftritts unserer Hertha seit annodazumal: „is schon ok“.