Hertha B.S.C. vs Gelsenkirchen vs Donald Trump

Zuschauerzahl: 50.590

Es ist Sonntag, der 15. Oktober 2017. Der goldene Sommer hat mich nochmal auf den Balkon gezogen, goldgelbe Blätter rascheln im Wind bevor der Herbstwind sie vom Astgehölz lösen wird. Zeitgleich lese ich eine Überschrift der New York Times: „Hertha Berlin Players Kneel in Solidarity With NFL“. Wie bitte? Was ist denn hier schon wieder passiert? Hertha BSC – unser sympathisch-unsymphatischer Provinzclub aus der Hauptstadt bestimmt die Schlagzeilen in den USA? Wie konnte das passieren?

Aber hey, erstmal alles auf Anfang, wir sind doch Freunde der Chronologie.

Und die startet am Freitagabend mit eindeutig zu viel Haselnusslikör und einer nötigen Ausnüchterungsfahrt am Samstagvormittag Richtung Charlottenburg. Eigentlich sollte es eine schöne Radfahrt durch den Grunewald geben. Indian Summer und so. Aber der Regierende schlug alternativ ein Kneipen-Frühschoppen vor und, na meinetwegen. Geile Insta-Pics kann man auch in einer Kneipe schießen, da hat er schon Recht. Auf dem Weg musste ich leider an janz schön vielen Schalkern vorbei, die sich am Wasserklops sammelten – solche Lemminge!

In der `Neipe brauchte ich erstmal ne kalte Coke ehe es mit dem Bier losgehen konnte. Die Gesprächsthemen werden aber auch immer krasser. Wir haben wirklich über Investmentfonds gesprochen. Alter Vatter. Entsprechend irritiert schaute auch Leon. Immerhin haben wir gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt und landeten beim Glücksspiel. Verstehe nicht, warum sich alle den Kopf wegen irgendwelcher Spieltipps und Kombi-Wetten zerbrechen, wenn man sein Geld beim Blackjack viel schneller loswerden kann…

2-3 Hülsen später standen wir auch schon am Weißen und konnten immerhin hier noch die schöne Laubfärbung begutachten und die schönen Hände der Kollegen von ARRR-Berlin schütteln. Habe ich schonmal erwähnt, dass ich die (amerikanische?) Parkplatz-Trinkkultur wahnsinnig sexy finde? Glaube schon.

Jetzt aber rein in den Ground. Eigentlich alles wie immer: Janz schön viele Schalker da, janz schön wenig Herthaner, janz schöne Gruppa-Boys in der Kurve. Und dann der Moment, in dem normalerweise das Polizeiorchester normalerweise immer die deutsche Nationalhymne spielt, die schwarz-rot-goldene Fahne der Bundesrepublik gehisst wird und das gesamte Stadion „Blüh im Glanze…“ anstimmt. Doch heute passiert außergewöhnliches: Das Team von Hertha BSC auf Spielfeld und Ersatzbank (was Gegenbauer gemacht hat, kann ich nicht sagen) hakt sich ein und kniet in Solidarität mit den amerikanischen Profi-Footballern und ihrem Protest gegen den in Person von Donald Trump mehrheitsfähig gewordenen Rassismus in den USA nieder. Und das nicht als Teil einer gemeinsamen Aktion aller deutschen Profivereine, sondern ganz alleine. Einfach so. Ich habe jetzt wirklich länger auf dem Balkon gesessen und über die Aktion nachgedacht. Im Grunde finde ich die Kombination aus Größenwahn und unbedarftem, spontanem Aktionismus doch ziemlich sympathisch. Wenn das, wie berichtet, wirklich eine Aktion der Mannschaft war, dann ist so etwas doch tausendmal glaubwürdiger als jeder von DFL und DFB beschlossene Aktionsspieltag. Und was kommt jetzt? Es ist jetzt 16:36 CET – so langsam aber sicher dürfte Donald Trump davon Wind bekommen haben und dann wird er Hertha via Twitter den Krieg erklären und wir stehen plötzlich auf einer Stufe mit Nordkorea, dem Iran, der amerikanischen LGBT-Bewegung und dem Weltklima. Na endlich.

Vermutlich hat die Mannschaft vor dem Spiel etwas zu leidenschaftlich und ausufernd die Kniefall-Aktion geplant, jedenfalls blieb nicht mehr viel fürs Spiel übrig. Kurz zusammengefasst war das mal wieder richtiger Wirsing. Kein einziger Torschuss in Halbzeit eins, dafür ne schöne Rote, nen verdienter Elfer und auch eine beschissene zweite Hälfte. Macht in Summe 0 zu 2 –  völlig verdient. Mir ist zwar bis heute noch nicht ganz klar, welche Kompetenzen Pal Dardai dazu befähigen, Cheftrainer bei Hertha zu sein, ein Schönredner ist er immerhin nicht. PD: „Heute ist alles schief gelaufen. Wir waren alle zu langsam, nicht frisch. Da muss ich mich fragen, was ich die letzten drei Tage falsch gemacht habe. Eine verdiente Niederlage.“  Das, und seine rätselhaften Statements auf Pressekonferenzen, gefallen mir gut an ihm. Also bitte noch nicht sofort feuern.

Auf den Rängen war das ne schwierige Kiste, weil „Janz schön viele Schalker hier“. Die Ostkurve machte das trotzdem ganz ordentlich, hervorzuheben noch ein Spruchband der Harlekins: „Eine Choreo für 120.000 €? Kumpel- und Malocherclub…“ – Touché, würde ich sagen.

Nicht neu, aber doch erwähnenswert ist übrigens auch die Kunstform, die es in dieser Form nur in der Ostkurve von Hertha BSC zu bestaunen gibt: Orangensaft der aus Tetra-Pak-Flaschen auf der blauen Tartanbahn zerplatzt. Ein Gemälde. Und übrigens ein weiteres Argument pro Olympiastadion.

Für das nächste Heimspiel bleibt nur zu hoffen, dass die vielen amourösen Verstrickungen verschiedener Gruppa-Mitflieder in geordnete Bahnen gebracht werden können, damit wir uns mal wieder dem gepflegten Tifo widmen können.

In diesem Sinne,

The Star-sprangeld banner & the blue-white banner against Trump!

Ihr/Euer

Fritze

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