ME/CFS – was ist das?

      10 Kommentare zu ME/CFS – was ist das?

Stell Dir mal vor: Die Ursache weißt Du gar nicht genau. Vermutet wird eine Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs oder ein Infekt. Wer soll das heute noch sagen? Du weißt aber noch genau wie es los ging. Du bist jugendlich und voller Tatendrang, hast wunderbare Lebensträume. Doch irgendwie bist Du die ganze Zeit erschöpft. Selbst wenn Du Dich hinlegst und lange schläfst – Du wirst nicht richtig wach und fühlst Dich nicht erholt. Anders als früher. Vielleicht bist Du krank, denn Du bist so erschöpft, merkst starke Grippesymptome. Komisch nur, dass sie nicht wieder weggehen.

Bei Deiner Ausbildungsstätte fallen Dir ständig Sachen runter und gehen zu Bruch. Peinlich. Deine Kraft ist verschwunden. Vielleicht ist es Tennisarm? Nein. Das können sie ausschließen. Und Vieles mehr.
Ein Ärztemarathon beginnt. Du hast eine Vermutung. Hast von ME/CFS im Internet gelesen, aber keine Ärztin und kein Arzt teilen Deine Einschätzung. Sie halten das für Quatsch und vermuten irgendwas Psychosomatisches. Aber das ist es auch nicht. In Krankenhäusern musst Du unzählige Untersuchungen und Übungen über Dich ergehen lassen. Keiner merkt, dass Dein Zustand mit jeder Anstrengung schlimmer wird. Es ist das bekannteste Phänomen von ME/CFS: PEM (Post-Exertionelle Malaise). Das bedeutet: Jede Anstrengung – egal ob körperlich oder geistig – verschlimmert Deinen Zustand. Bücher lesen geht nicht mehr, schon Nachrichten von Freunden, die länger als drei Sätze gehen überfordern Dich komplett.

Jahre vergehen, die Symptome werden immer schlimmer. Egal in welches Krankenhaus oder zu welchen Spezialisten Du kommst – es gibt keine Antworten, keine Unterstützung und keinen Therapieansatz. Dein Körper baut immer mehr ab, bis er zusammenbricht. Deine Ausbildung musstest Du längst abbrechen, mit Anfang 20 lebst Du von einer kleinen Rente. Das Haus kannst Du inzwischen nur noch mit dem E-Rollstuhl verlassen – und das auch nur an sehr guten Tagen. An schlechten Tagen geht gar nichts, Deine extremen Schlafzustände nennen sie „komatös“. Man kann Dich kaum wecken. Die Ärzte denken Du hast Drogen genommen. So ein Unsinn! Du trinkst noch nicht einmal nen Tropfen Alkohol. Du sehnst Dich nach Freizeit, nach Hobbys. Doch dein Leben wird immer beengter.

Tageslicht hältst Du nicht mehr aus, die normalen Geräusche in der Nachbarschaft schon gar nicht. Lange nach Deiner ersten Vermutung, bekommst Du an der Charité in Berlin endlich eine Diagnose: Du hast ME/CFS in der schwersten Ausprägung. Eine neuroimmunologische Multisystemerkrankung, bei der die Mitochondrien (die sogenannten Kraftwerke der Zellen) nicht mehr funktionieren. Die Auswirkungen betreffen den ganzen Körper gleichzeitig: Zum Beispiel das Nervensystem, das Immunsystem und den Stoffwechsel. Nichts geht mehr.

Du denkst „schlimmer geht es nicht“ und kriegst nicht aus dem Kopf, auf was Du im Leben alles verzichten musst. Deine Freunde gründen inzwischen Familien, machen Karriere. Aber bei Dir schreitet die Verschlechterung ungebremst voran. Es geht doch schlimmer. Nach einer Covid-Impfung wirst Du komplett bettlägerig. Der E-Rollstuhl steht ungenutzt in der Ecke. Tag und Nacht tropfen Infusionen in Dich herein. Dein ganzes Leben findet nun im Pflegebett statt: Die ganze Welt ist ein Zimmer, die ganze Welt ist ein Bett. Die ganze Welt ist 24/7 dunkel. Gegen Deine Ganzkörperschmerzen gibt es keine Hilfe. Bekannte Schmerzmittel wie Ibuprofen wirken einfach nicht. Ein Palliativteam sieht kaum Überlebenschancen und beginnt mit der Gabe von Opiaten. Die Schmerzen mildert das ein bisschen, doch Dein Körper leidet darunter. Als wäre es nicht schon schlimm genug, bekommst Du plötzlich einen Darmabriss und mehrfach eine Sepsis. Es gleicht einem Wunder, dass Du das alles überhaupt überlebst. Seit dem hast Du einen künstlichen Darmausgang, der täglich von Deiner Familie versorgt werden muss. Sie machen inzwischen fast Intensivpflege zuhause.

Berührungen kannst Du kaum noch aushalten. Auch nicht von den liebsten Menschen in Deinen Leben. Und dann ist dir übel, so oft speiübel.
Von der Welt da draußen kriegst Du nicht mehr viel mit. Du weißt nicht, ob es Winter oder Frühling ist. Das helle Grün der Bäume kennst Du schon nicht mehr.

Es klingt nach einer seltenen Krankheit mit außergewöhnlich schlimmem Verlauf. Leider ist es das nicht. In Deutschland leiden derzeit über 600.000 Menschen an ME/CFS. Viele von ihnen erleben einen ähnlichen Verlauf und sind schwerstbetroffen. Immer mehr Erkrankte sterben. Wir von der Gruppa Süd sind mit dem Thema seit Jahren beschäftigt. Der Text erzählt in Kurzform die Geschichte der Freundin eines Mitgliedes von uns.

Ähnlich wie derzeit die Fan-Organisation „Empty Stands“ rufen wir dazu auf, an der Aufklärung über ME/CFS mitzuwirken. Wir brauchen dringend mehr Forschung, um die Betroffenen angemessen zu versorgen. Leider geschieht da immer noch viel zu wenig. Macht mit! Unterstützt „Empty Stands“. Oder die „Liegenddemo“. Oder nehmt an der Lemon Challenge teil, um Forschungsgelder zu generieren. Man muss nur in eine Zitrone beißen und das ganze unter dem Hashtag #mecfsawareness verbreiten. Im Netz findet ihr alles. Man kann sich ganz leicht beteiligen. Wer Fragen hat, kann sich immer gern an uns wenden. Passt aufeinander auf. Die Krankheit ist leider viel weiter verbreitet, als bisher angenommen.

Ansonsten haben wir noch einen Film-Tipp: Wer genauer wissen will, wie das Leben mit ME/CFS aussieht, kann sich die ausgezeichnete, aber auch schwer verdauliche ARTE-Dokumentation „Chronisch krank – chronisch ignoriert“ auf YouTube anschauen.

Mehr Anerkennung! Mehr Versorgung! Mehr Forschung!

Gruppa Süd Berlin, Mai 2025

10 thoughts on “ME/CFS – was ist das?

  1. Malte Nolting

    Vielen Dank für eure Arbeit und das ihr auf diese unfassbare Krankheit aufmerksam macht, die einem fast alles nimmt. Fast genauso schlimm ist der Spießrutenlauf gegen die Ärzte! Keiner glaubt dir, keiner hilft dir!

  2. Anita Schmid

    Herzlichen Dank,
    dass ihr diese traurige und missachtete Krankheit thematisiert. 💙

  3. Ulrike Schabelreiter

    Danke , dass ihr auf ME/CFS aufmerksam macht. Es stecken tausende Schlimmste Schicksale hinter der Krankheit, unsichtbar, ungehört, unversorgt.

  4. Susanne Ritter

    Danke das ihr auf ME/CFS aufmerksam macht. Viele Erkrankte können ihren Vereinen/Hobbys nicht mehr nachkommen. Es ist traurig wenn man so aus dem Leben gerissen wird. Jahrzehnte hätte man das schon erforschen können und wäre in der Versorgung und Anerkennung bei Ärzten weiter. Aber man hat es sich einfach gemacht und schob es in die Psychologie.
    Was nicht sein kann, ist im Kopf.
    So ein Schwachsinn.
    Super das ihr darüber schreibt und somit das Mitglied und die Familie mit unterstützt.
    Gruß Susanne
    ME/CFS Selbsthilfe

    1. Gruppa Süd

      Vielen Dank auch für den wichtigen Kommentar.
      Das Wenige, was wir tun können, ist die Bemühung
      um Aufmerksamkeit. Wir können, wozu so viele Betroffene nicht mehr in der Lage sind:
      Laut sein und für alle Erkrankten kämpfen. Im Fußballstadion und weit darüber hinaus.

      Fight ME! Cure ME!

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