45.000 Zuschauer
Anschlagen und zurück! Zum Ende der englischen Woche ging es nur drei Tage nach dem fulminanten Auftritt bei den Bayern erneut auswärts, diesmal nach Frankfurt. Zugegeben, für mich war es das erste Mal auswärts in dieser Woche, da es außer Moritz keiner am Mittwoch schaffen konnte und/oder schaffen wollte. Warum ich das erzähle? Besagter Moritz erwartete mich als einziges weiteres Gruppa-Mitglied bereits am Berliner Hauptbahnhof, womit die Vorentscheidung in der Auswärtskilometertabelle so gut wie gefallen sein dürfte – der Vorsprung von guten zweieinhalb Erdumrundungen, gemessen am Äquator, scheint nicht mehr einholbar zu sein. Auch wenn er gar keinen 34er geplant hat – naja, gloobste ja selba nich!
Sei‘s drum – vor uns standen etwas mehr als vier entspannte Stunden Sprinter-Fahrt. Ein echter Vorteil so ein Bundesligaverein in einer großen Stadt, wie ich eben bei den Reiseplanungen für Hoffenheim und Augsburg feststellen musste, Zug ist da nämlich nicht drin. Begleitet von Lucas, zwei seiner Fußballkollegen, Amir, einer Pulle Wilthener und einer Schale kernloser Weintrauben ging es los. Moritz, so gar nicht angetan von meiner wahnsinnig gesunden Lebensweise (zumindest stimmt das für die Weintrauben), musste sich in meiner Wilthener-Laune aber bald anstrengende Gespräche zu schokolierten Erdnüssen und Ausbildungsplänen seinerseits anhören. Wie der diese Fahrten und all diesen gesprochenen Dünnschiss nur aushält?
Erster Halt Halle, zweiter Halt Erfurt und schon ist man da. Stephan konnte, nachdem die ZDF-Oma vom Vierer verschwunden war, auch alsbald aufhören, Eindruck als perfekter Schwiegersohn bzw. -enkel zu schinden und mit seinem Wilthener beginnen. An der Stelle sei gesagt: Alter Falter, der hat einen Zug. Brüder im Geiste und so.
Ankunft in Frankfurt: Wer weiß, dass Frankfurt hier und da am Rad dreht, ja der weiß, dass Frankfurt hier und da am Rad dreht. Da sich der große Mob ordentlich verspäten würde, verzichtete man darauf, allzu lange am Bahnhof zu verbringen und stürzte sofort in ein Taxi. Der Taxifahrer steuerte das Gefährt zielsicher vor den UF-Container – nee danke, wir würden gerne noch ein Stück weiter. Also zurück auf die Bundesstraße und Richtung Haupteingang gefahren. Läppische 8 Euro Zuschlag für das Herunterklappen des Notsitzes machen mit Stadtrundfahrt 30 Tacken. Am Eingang noch kurz auf Paul gewartet, den wir zugegebenermaßen am Bahnhof vergessen haben und rein ins Stadion. Randnotiz: Das Abgeben des Rucksacks war nach kurzer Diskussion kein Problem – warum aber der von Ordnern betriebene Container für Rucksäcke und Co. laut Schild nicht von Ordnern hätte betreten werden sollen, erschloss sich uns nicht ganz.
Zum Spiel: Unentschieden in Frankfurt, das scheint jetzt so eine Art Serie zu werden, egal wie viele Tore beide Mannschaften schießen. Kurz und knapp: Das 3:3 war einigermaßen leistungsgerecht, auch wenn man sich fragen darf, wieso man die 2:3-Führung nicht noch weitere zwei Minuten hätte verteidigen können. Ibisevic trifft per Foulelfmeter, Frankfurt gleicht in lächerlicher Weise aus (also bezogen auf unsere Verteidigung), geht durch ein typisches Meier-Tor in Führung, Halbzeit, Ibisevic nach schöner Vorlage von Esswein zum Ausgleich, der Vorlagengeber dann auch noch höchst sehenswert zum 2:3 und schließlich der vielleicht vermeidbare Ausgleich. Egal, wer auswärts unentschieden spielt und zu Hause gewinnt, wird Meister.
Auf den Rängen (und insbesondere für Fritze): Frankfurt ist sicherlich die Fanszene, die den aktuellen Rekord im Spruchband-Langsam-Ausrollen hält. Der Wahnsinn und sicherlich ein bewusstes Statement gegen dieses „schnelllebige Fußballgeschäft“ – einfach auch mal was langsam machen. Themen: Verabschiedung des kürzlich verstorbenen Zeugwarts und Ausschluss eines, so nehme ich an, ehemaligen Kurvengängers, der, so nehme ich an, ein Praktikum bei einem unbeliebten Staatsorgan begonnen hatte und, so nehme ich an, bei den eigenen Kumpels in Ungnade gefallen ist. Vielleicht war es auch was anderes, aber ich bin da eigentlich ziemlich leidenschaftslos. Auf Seiten von Hertha wegen der pinken Trikots keine Zaunfahnenbeflaggung und nur das übliche Nur-echt-in-Blau-Weiss-Statement. Die Stimmung war ganz ok, auch wenn von Jahr zu Jahr deutlich weniger nach Frankfurt kommen wollen. Wer natürlich nicht weg bleibt: Der gemeine Vollhorst. Ein besonders vollhorstiges Exemplar stand nun glücklicherweise genau vor uns und gestikulierte, dass die ausgestreckten Mittelfinger nur so durch den Block wirbelten, etwa 70% des Spiels in Richtung gänzlich unbeeindruckter Gegentribüne. Aus unserer Beobachterperspektive wurden wir bei den beiden Toren in Halbzeit II aber herausgedrängt, als er uns, geschwängert von Hertha-Tore-Endorphinen und Alkohol und Vollhorstigkeit leidenschaftlich umarmen wollte – nee danke. Voll? Ja gerne! Voll und doof? Lieber nicht!
Abpfiff und wie abgesprochen sofort raus ausm Block und direkt ein Taxi rangewunken, um zum Bahnhof Main Süd zu fahren (ich kann mich nicht erinnern, wann ich in meinem Leben mal zweimal am selben Tag Taxi gefahren bin). Der Plan sah vor, den Zug um 18:15 zu nehmen, in Hannover umzusteigen und gefühlt noch vor der Sportschau zu Hause zu sein. Und das alles in einem richtig guten Sechser-Abteil: Edel. Wegen der Verspätung und weil wir alternativ nicht schon in Göttingen unser geiles Abteil verlassen wollten, sind wir dann aber eine Stunde später angekommen, konnten als Entschädigung aber die Wartezeit in der offiziell langweiligsten Stadt der Welt mit einem Junggesellenabschied feiern. Mir gelang es leider nicht, den dicken Pikachu mit einem Pokeball zu fangen – der war ziemlich wendig! Egal, wir genehmigten uns noch ein paar Tranks zum Auffüllen der WPs (Wilthi-Punkte), Abschiedsfoto, Dummgelaber über Scorpions und Indians und ab nach Berlin. Und es gibt sicherlich keinen geeigneteren Ort als den des Psssst-Abteils im ICE, um eine Gruppe von Musiklehrerinnen kennenzulernen, um gemeinsam Bruder Jakob im Kanon und Freude schöner Götterfunken im Chor zu singen. Die anfängliche Skepsis des Zugabteils wich später der puren Begeisterung, in etwa so wie damals in der Werbung von der Telekom mit Paul Potts am Leipziger Hauptbahnhof, als alle gemeinsam gesungen haben. Hach, war das schön!
Notiz zum Abschied: Ich hätte bei Tommy für drei Futschi zunächst acht Euro zahlen müssen, nach kurzer wenig artikulierter Nachfrage noch sechs. Irgendwas stimmt da nicht, aber war mir auch egal, einer der Futschis war wohl schlecht.
MM’16