60.576 Zuschauer
Haaallloo Echoooo! Vierter gegen Zweiter, und schon unter der Woche war zu erkennen, dass Hertha mittlerweile sogar wieder mediales Echo erzeugen kann. Da wurden im Kicker nicht nur etwa 15 unfassbare Statistiken zu Scheren-Rune und Co. hervorgekramt, man hat gleich dazu noch alle Spieler, Trainer, Zeugwarte, Busfahrer und Physiotherapeuten porträtiert, die irgendwie was mit beiden Vereinen zu tun hatten.
Nun verhält es sich aber so: Je größer die mediale Aufmerksamkeit für Hertha vorher, desto katastrophaler die Berichterstattung nachher (meist aus hausgemachten Gründen). Beispiele? Zu unserem kürzlichen Gastspiel bei den Bayern wusste die Bild vorher 9 Gründe, warum Hertha bei den Bayern punkten kann, zu berichten. Anschließend waren sich alle einig, dass Hertha nicht nur chancen- sondern auch einigermaßen ideenlos war – Hertha selbst setzte mit einem hämischen Kommentar noch einen drauf und musste sich schließlich kleinlaut entschuldigen. Gleiches Ergebnis wie in München: Zu Hause gegen Dortmund im Pokal der vergangenen Saison. Noch während man vom größten Spiel der jüngeren Hertha-Geschichte faselte, wurde bereits der BVB-Bus medienwirksam beschmiert und das Spiel schließlich nicht nur chancen- sondern auch einigermaßen ideenlos hergegeben.
Und nun das: Zwar ist Köln nicht zu vergleichen mit den Mannschaften aus München oder Dortmund – das mediale Interesse war aber dennoch mal wieder etwas höher, und so konnte man sich im Stadion nur ungläubig an den Kopf fassen! So wie es uns in dem Moment erging, muss es vielen Stadionbesuchern ergangen sein: Fassungslosigkeit ob dieser Schweinerei machte sich breit! „Wie können die nur?“ war da der Tenor der meisten Stimmen, die zu vernehmen waren. „Meinen die das ernst?“ … Und was war der Grund, werdet ihr euch jetzt fragen? Es handelte sich um ein 50 Meter (in Worten -fünfzig- !!!) langes Spruchband, das die Fans entrollt hatten. Darauf stand: „Ob an Rhein, Main, Isar, Elbe oder Spree“… und am unteren Rand des Blockes „Wir sind besessen vom FC!“ – ein klarer Affront gegen alle FC-Fans an Donau, Oder, Weser, Mosel, Inn, Saale, Neckar, Ems, Havel, Werra, Mulde, Lahn und all den anderen schönen Flüssen in Deutschland. Dabei fehlen nicht nur die Flüsse unserer ausländischen Freunde sondern auch noch Kanäle, Seen und andere hydrographische Erscheinungsformen. Kein Wunder, dass sich der FC nun einer medialen Schelte gegenüber sieht – trotz gelungener Kombination mit roten und weißen Zetteln.
Aber genug herumgealbert: Denn tatsächlich bewirbt sich ein anderes Spruchband dieses Tages für den Titel „Größtes Medienecho wegen unüberlegter Geschmacklosigkeit“. In der Ostkurve war während des Spiels zu lesen
WH96: Lieber eine Mutter als zwei Väter. (HB98)
welches schließlich zu zahlreichen Artikeln zur homophoben Hertha-Fanszene, zu endlosen Diskussionen auf Facebook und schließlich zur Stellungnahme durch den Verein selbst führte.
Ich hab es oben anklingen lassen – nicht alles, was die Gazetten wie auch Personen der Öffentlichkeit so von sich geben, ist recht. Wenn beispielsweise die taz zwar vom Spruchband berichtet, nicht aber von Hintergründen, dann wirkt das halbgar. Wenn ein Kommentar des Bundesvorsitzenden der Jusos, Kevin Kühnert, es schließlich in den Tagesspiegel schafft, in dem er die Aktion auf „50 Meter Homophobie in der Ostkurve von HERTHA BSC“ herunterbricht, dann ist das reißerisch. Einerseits, weil Spruchbänder, die 50 Meter lang sind, die Regel sind und nicht wie Kühnert es anklingen lässt, bedeuten, dass diese Meinung nun von besondern vielen in der Kurve getragen wird: Das Spruchband der Gruppa Süd zum 500. Geburtstag des Deutschen Reinheitsgebots war sicherlich nicht einmal 25 Meter lang, findet aber sicherlich einen größeren Konsens in der Kurve. (Und wenn wir wollen, dann schreiben wir das nächste Mal auf 2000 Meter den Schni-Schna-Schnappi-Song drauf.) Zum anderen bedeuten 50 Meter Tapete nicht, dass man da wahnsinnig viel differenzierten Inhalt transportieren könnte (es sind ja schließlich keine 50 Meter Tageszeitung). Und schließlich kann man festhalten, dass von Kühnert hier zwar Homophobie angeprangert wird, gleichzeitig aber mit der Keule die gesamte Ostkurve unter Generalverdacht gestellt wird – und das ist leider nicht so viel besser, als ein homophobes Spruchband. Nachdem nun aber der Großteil des Medienechos abgeklungen ist, kommt auch die Gelegenheit, sich noch einmal mit dem Thema auseinander zu setzen – auch nach zahlreichen Gesprächen, die sich natürlich schon wegen des kurzfristigen Wiedersehens beim Auswärtsspiel auf St. Pauli ergaben.
Die Auseinandersetzung kann für viele Fans sowieso erst beginnen, wenn sie das Stadion verlassen haben – schließlich sehen sie das Spruchband während des Spiels selbst gar nicht. Meinem kritischem Blick auf das mediale Echo folgt deshalb jetzt ein kritischer Blick auf den Spruch: Dünne! Keine Frage, der Spruch „spielt“ mit der bekanntermaßen großen Schwulen- und Lesbenszene in Köln und kann deshalb auch als homophob betrachtet werden, schließlich wertet er das eine gegen das andere Familienmodell. Denkt man so drüber nach, muss er sogar als homophob bewertet werden. Er ist schon deswegen einfach unkreativ, weil auch andere Vereine ähnliche Entgleisungen vorzuweisen haben. Siehe Bayer Leverkusen 2014. Und obwohl die Aktion, auf die man sich nun kürzlich im Olympiastadion bezogen hat, ja schon einige Monate zurück liegt, ist eben leider nicht viel mehr rausgekommen, als oben gezeigte Textzeile. Deswegen kann man wohl zum Schluss kommen, dass das nicht mehr als ein platter Witz und noch dazu ein sehr mäßiger Diss war, der nicht allzu lange überdacht wurde – schließlich gibt es auch andere Transparente der selben Gruppe, die in eine ganz andere Richtung gehen und für mich den Vorwurf der mutwilligen und absichtlichen Homophobie ad absurdum führen.

Tennis Borussia – Karlsruher SC (DFB-Pokal 2006/2007)
Apropos Diss: Denkt man mal an die Kunstfreiheit, die einem Rap-Battle gewährt wird, in denen nicht selten gegenüberstehende Künstler Zweifel an der (Hetero-)Sexualität des jeweils anderen streuen, kann man auch argumentieren, dass das Spruchband ganz grundsätzlich auch von eben jener Kunstfreiheit gedeckt werden könne. Das Problem, das sich aber daraus ergibt, wenn andere Fangruppen als z. B. Schwule, Zigeuner und/oder Kanacken beleidigt werden „dürfen“, weil es ja zur Kultur von Fanszenen dazu gehören würde, ist, dass sich Menschen, die tatsächlich Probleme mit „Schwulen“, „Zigeunern“ und/oder „Kanacken“ haben, einer Atmosphäre gegenüber sehen, die ihre eigenen hetzerischen Gedanken willkommen heißen und in der es offensichtlich ok ist, auch mal Stammtischwitze zu „Juden“ oder Verschwörungstheorien zu den Rothschilds zu verbreiten. Nur jedes Mal muss man sich fragen, wo eigentlich die Grenze zwischen Spaß und Wirklichkeit ist.
Sicherlich sollte der Umgang mit Wörtern wie „schwul“ oder aber auch „Zigeuner“ daher innerhalb von Fanszenen überdacht werden – bevor man aber an der poltical correctness arbeitet (schließlich möchte ich als Freund des schwarzen Humors niemandem verbieten, auch mal einen Witz machen zu dürfen), ist der Mindestkonsens wohl, dass Fremdenhass und Homophobie nichts im Fußballstadion verloren haben (und nicht nur da). Dieses Problem existiert jeodoch und ist deutlich weniger medienpräsent als der wahrscheinlich unüberdachte oder unkreative Diss einer rivalisierenden Ultragruppe.
Achja: Fußball gespielt wurde ja auch noch und diese Homepage wurde ja vor allem ins Leben gerufen, um Trinkeskapaden und Herthaspiele übertrieben darzustellen und zu glorifizieren. Also: Vierter gegen Zweiter. Hertha im Anschluss Zweiter, weil Stark nicht nur Modeste stark (dieser Wortwitz lässt sich im Grunde nicht vermeiden) im Griff hatte sondern auch noch als einer von vier einköpfbereiten Herthanern den Ball zum verdienten 2:1-Endstand über die Linie drückte. Hahohe!
Anschließend wurde sich mal wieder zu einer gemütlichen und schönen Runde Poker getroffen – schön vor allem, weil ich das allererste Mal überhaupt den Pott von immerhin sagenhaften 24 Euro abräumen durfte. Gemütlich aber auch, weil der ganze Abend mit seinen verschiedenen Tätigkeiten jeweils passend durch Bild und Ton untermalt wurde. Während das nach Stunden eingetroffene Thai-Essen vertilgt wurde, lief asiatischer Klimpersound (das wird dem kulturellen Erbe der Asiaten hinsichtlich Musik sicherlich nicht gerecht, aber sucht bei Spotify einfach mal nach „asian restaurant music“ und ihr wisst was ich meine) plus ein Zwei-Stunden-HD-Video eines Aquariums (mit Schildkröte). Anschließend schafften Gamble-Music und ein Video einer Slotmachine sowie später ein Kaminfeuer die Atmosphäre zum Pokern (vom Casino in den klassischen Herren-Salon sozusagen) und das späte Heads-Up wurde uns thematisch eher unpassend mit einer Führerstandsfahrt von Kassel-Wilhelmshöhe nach Frankfurt Haubtbahnhof versüßt (das ist fast noch schlimmer als Feuer, wenn man bedenkt, wie sehr das die Blicke auf den Bildschirm lenkt).
Das Wochenende war also mehr als erfolgreich: Drei Punkte und eine dicke Bestellung bei Lieferando am Sonntag, während der spielsuchtgebeutelte Helmut mit seinem letzten Klimpergeld das Haus für einen mäßigen Kristall-Döner verlassen musste – [hämisches Lachen, hahaha].
GSB’03