Racing Club de Strasbourg – Union Sportive de Colomiers 2:0

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Zuschauer: 27.820

Ein langersehntes Wochenende mit der Blau-Weißen-Achse

Teil I

Das Leben spielt uns allen oft übel mit und zu viele Dinge machen uns Tag ein Tag aus betrübt. Was wir alle brauchen, sind positive Ausblicke. Wir brauchen Vorfreude. Als irgendwann im Winter die Termine für den letzten Spieltag bekannt gegeben wurden, war so ein Ausblick plötzlich da. Strasbourg, Hertha und der KSC sollten an einem verlängerten Wochenende hintereinander spielen. Strasbourg und Karlsruhe zuhause, Hertha auswärts gegen die stinkenden Hoffenheimer. Sensationell! Das passte (seit langer Zeit mal wieder) wie Korn zum Bier. Für mich stand die Tour sofort im Kalender, die anderen waren ähnlich entzückt und so wurde bald ein reiner Gruppa Süd 9er gebucht. Die anderen Berliner machten auch richtig mobil (vor allem die Harlekins!), so dass es am Ende eine dreistellige Zahl Berliner nach Strasbourg schaffte. Gab es das überhaupt schon einmal?

Aber der Reihe nach. Die Woche vor dem Wochenende drehte sich natürlich schon komplett um die Tour. Zwei Tage lang bastelte ich am CD-Hitmix („Geile Bretter braucht die Welt!“ und „Ey Brettinger, was geht?“) und vernachlässigte in übler Art und Weise meine Pflichten. Ich wusste vorher, dass es Diskussionen um den Brett-Status geben würde (etwa bei Andreas Dorau mit „Inkonsequent“), aber scheiß drauf, „als das Gedöns, die Tüdelei. Bin ich schon lange nicht mehr heiß drauf, das geht mir am Arsch vorbei.“

Das Kribbeln wurde immer stärker und dann war der Zeitpunkt der Abfahrt gekommen. Fever H. und ich trafen die restliche 9er Besetzung verspätet in Alt Glienicke. Wir hatten uns etwas verfranzt. Wer kennt sich denn auch in AGL aus? Ehrlicherweise war der Treffpunkt aber sauleicht zu finden. Egal, die Laune war gut und so rauschten wir ins Wochenende. Monsieur Tête quengelte irgendwann nach einem Eis am Stiel und so fuhren wir einen Supermarkt an. Während ich ein paar Dosen Dr. Clausthaler bei der Tanke orderte, kamen die Jungs mit ner ganzen Palette Dosenbier aus der Markthalle. Von da an entwickelte sich ein leichter Disput zwischen Quadratauge, unserem Fahrer, und der Suff-Besatzung. Schließlich gab es Rastplatzforderungen im 15-Minuten-Takt. Kein Wunder, denn Tête und Futschi-Guido bretterten als Ginge es um den Klassenerhalt von Hertha.

Das bringt mich auf ein unschönes Thema: Hertha BSC. Hertha hatte es mal wieder geschafft gegen Eintracht Frankfurt den Sack nicht zu zumachen und drohte uns jetzt damit, unser langersehntes Highlight-Wochenende zu versauen. Bei allen drei Vereinen ging es um etwas. Strasbourg konnte in die 2. Liga aufsteigen, Karlsruhe in die 1. Liga. Unsere ätzende Hertha derweil konnte auch am 34. Spieltag immer noch in die 2. Liga absteigen. (Zumindest Relegation.) Während die Spannung auf die Spiele im Stade de la Meinau und im Wildparkstadion voller Vorfreude war, war der Gedanke an Hertha in Hoffenheim einfach nur grausig. Schon vor dem Spiel wusste jeder, dass diese Ansetzung der Tiefpunkt des Wochenende werden würde. Das hat wenig mit Pessimismus zu tun. Das liegt schon in der Sache an sich: Auswärtsspiel in Hoffenheim.

Zurück zum Freitagnachmittag. Wir arbeiteten uns also Stück für Stück von Parkplatz zu Parkplatz Richtung Frankreich vor und erlebten bei Heilbronn noch ne schöne Überlandfahrt. Irgendwas war auf der Autobahn los. Da heutzutage aber nicht mehr das Radio aufgedreht wird, sondern das Navi ne kürzere Route berechnet, kann ich nicht berichten ob nun ein harmloser Reislaster seine Ladung verloren hat oder sogenannte Gaffer eine Massenkarambolage mit zig Toten verursacht haben. Klingt nicht lustig, ist es auch nicht.

Die anderen Berliner 9er waren noch mehr im Verkehrsstrudel gefangen und befanden sich noch ein paar hundert Kilometer hinter uns. Wie immer – hier unten – schien die Sonne herrlich und zu den magischen Stimmen und Beats der Gospel Kids (mit ihrem Smashhit „Allez Allez Strasbourgois“) überquerten wir den Rhein und waren für wenigstens einen Tag mal raus aus der alten deutschen Grütze. Wir steuerten direkt das Stade de la Meinau an und sahen sofort was hier heute abging. Bereits drei Stunden vor dem Anpfiff standen Menschenschlangen an den Eingängen. Überall war aufgeregtes Fußballvolk. Die Spannung war so groß, als käme gleich ein Gewitterguss vom Himmel.

Florian von den UB’90 regelte gleich mit dem örtlichen Sicherheitschef unseren kostenfreien Eintritt (das Spiel war seit dem ersten Tag des Vorverkaufs ausverkauft! Und das in der dritten Liga IN FRANKFREICH!) und so wurde uns nicht mal der Schnaps abgenommen. Sau locker! Jetzt gab es erstmal ein fröhliches „Salut! Ça va?“ mit den bekannten Nasen, wobei Tête stolz wie Bolle gleich mal französische Küsse in Empfang nahm. Vor dem Block der Ultra Boys gab es mal wieder keine Ordner (!), dafür kontrollierten mehrere Ultra Boys die Leute, die ins Stadion wollten. Ich rede jetzt nicht von Taschenkontrollen, sondern von Typen-Kontrolle. Typen, die mit Barcelona, Man City oder Bayern-Trikots in die Kurve wollten, wurden nämlich gleich mal abgewiesen. Da wurden unsere Kumpels ziemlich laut. Außerdem gab es das Problem, dass Tausende Jugendliche Karten auf anderen Tribünen gekauft hatten, aber natürlich unbedingt in der Virage Nord-Ouest bei den Ultras stehen wollten. Tja die Jugend. Fluch und Segen! Jedenfalls reichte es den Ultra Boys irgendwann und sie machten die Aufgänge dicht. Immerhin hatten sich ja noch jede Menge Berliner und auch ein großer Bus Karlsruher angekündigt. Außerdem gab es auch heute eine Choreo (vom Ultra Boys Nachwuchs vorbereitet), bei der die Mithilfe der Leute von Nöten war. Eine Rasselbande von 500 umherspringenden Jugendlichen könnte die Sache da kompliziert machen.

„Kompliziert“ ist das richtige Stichwort. In Strasbourg werden traditionell ja Choreos nicht so gemacht wie bei uns, wo mitunter schon am Vortag alles vorbereitet wird. Hier werden die letzten 10 Minuten vor dem Anpfiff genutzt um Zettel zu verteilen, Blockfahnen und Spruchbänder auszubreiten etc. Die Hektik wird mit gefühlten 5 Megaphonen an verschiedenen Stellen des Blockes noch angeheizt und unser schlechtes Schulfranzösisch reichte natürlich nicht aus um die gebrüllten Anweisungen zu verstehen. Heute gab es ein Bild aus Styroporpappen auf dem das 25-Jahres Logo der Ultra Boys 90 zu sehen war. 25 Jahre! Stellt Euch das mal vor. Diese Styroporpappen wurden nun aber nicht einfach hochgehalten. Das wäre zu leicht! Sie wurden als Puzzle-Teile von oben durch den Block an weißen Zetteln vorbei gegeben und im letzten Moment vor dem Anpfiff zusammengesetzt. Das blanke Chaos! Sämtliche Ultra Boys waren komplett verschwitzt, fertig mit den Nerven aber waren nur wir. Am Ende hat es wieder mal geklappt und das Bild stimmte.

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Die Spieler traten pünktlich gegen das Leder und nun ging hier die Post ab. Es war einfach nur geil. Ich habe mit Strasbourg schon einen 1. Liga-Aufstieg miterlebt, mit viel Pyro und Feuerwerk. Das gab es heute nicht zu sehen, dafür aber war die Atmosphäre grandios. Richtig laut kamen die melodischen Gesänge der Strasbourgois rüber und oft stimmten die übrigen Tribünen mit ein. Spätestens bei unserem Smashhit von der Fahrt gab es für uns kein Halten mehr. Die übrigen Gruppen aus Berlin trafen kurz nach dem Anpfiff ein und zusammen wurde nun Racing nach vorne gebrüllt. Dass es heute keine Gästefans zu sehen gab, ist zwar schade, aber auch nicht das große Drama. Was soll ich von einem Drittligisten erwarten, der 950km entfernt im Süden Frankreichs beheimatet ist und in einem Stadion spielt (Stade Bertrand-Andrieux), das laut Wikipedia über eine Kapazität von 1.200 Plätzen verfügt? Von mir gibt es hier keine Vorwürfe.

In der Vergangenheit sahen wir viel Murks bei Strasbourgspielen. Heute lief alles anders. Die Mannschaft hat einen Lauf und konnte – je nach dem wie die Kontrahenten spielten – heute sogar aufsteigen. Und dass, nachdem sie im letzten Jahr nur in der Liga geblieben sind, weil andere die Lizenz nicht erfüllen konnten. Vgl. Darmstadt – aber nur fast. Im Unterschied zu Hertha konnte Strasbourg im entscheidenden Spiel überzeugen und gewann die Kiste hier heute dominant mit 2:0. Der zweifache Torschütze war Jeremy Blayac. Wobei der erste Treffer in der 63. Minute vom Elfmeterpunkt erfolgte. In diesem Moment lüftete sich auch das Geheimnis, warum der Ultra Boy neben mir mit einer so dicken Jacke an diesem Sommerabend ins Stadion gekommen war. Er öffnete den Mantel und eine Glasflasche mit selbstgebranntem Kreuzkümmelschnaps kam zum Vorschein. Für mich nicht, danke! Aber Tête, Quadrati und co nahmen natürlich einen Probeschluck auf dieses Ereignis. Das habe ich auch noch nicht gesehen. Bei diesem Gänsehautspiel war es natürlich kein Wunder, dass der Kollege die Flasche bereits vor der 90. Minute ausgetrunken hatte. Logo.

Der geilste Moment des heutigen Tages war übrigens am Ende leider ein Fake. Irgendwie ging die Nachricht um, dass irgendwer – ich konnte da nicht mehr folgen – getroffen habe und Strasbourg jetzt auf einem direkten Aufstiegsplatz wäre. Die Nachricht machte so schnell die Runde, dass das ganze Stadion aufsprang und einen Mordslärm von sich gab. Das „Aux Armes“ müsste bis Metz zu hören gewesen sein. Genau in diesem Moment fiel das 2:0 für Racing und es gab kein Halten mehr. Auch sämtliche Berliner waren in kompletter Ekstase. Für ein paar Minuten wurde der Aufstieg gefeiert. Dann pfiff der Schiri ab und plötzlich war überhaupt keine Stimmung mehr auszumachen. Hä? Wir guckten uns total verdutzt an. Offenbar war die Nachricht nur ein Gerücht. Denn es stimmte einfach nicht.
Bourg Peronnas hatte gegen Boulogne 2 : 0 gewonnen und Bastia spielte 0:0 gegen Paris FC . Damit fehlte Straßburg am Ende ein Punkt und ein paar Tore. Das heißt jetzt: Noch ein Jahr 3. Liga. Das ist natürlich sehr enttäuschend. Zumal ich gehört habe, dass sich die französischen Clubs geeinigt haben, dass nur noch zwei Mannschaften auf- und absteigen sollen. Habe die Infos noch nicht überprüft, aber das würde natürlich einen Aufstieg noch schwieriger machen. So flog ein Bengalo auf das Feld und die Aufstiegsfreude verbrannte sinnbildlich in wenigen Sekunden. Schade, Schade. Es hätte so schön sein können. Aber nein, für 90 Minuten war es schön! Und für 8 Minuten oder mehr sogar total ekstatisch. Das war ein unvergessliches Erlebnis. Wie sagte ein Karlsruher Freund nach dem Spiel? “Darum gehen wir doch zum Fußball.” Yes, indeed.

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Erwähnenswert ist noch ein Spruchband, dass auf die Web-Site http://www.solidariteultras.com/ verwies. Ihr habt es vielleicht schon gehört. Ein Mitglied der Ultra Boys ist wegen einer Aktion in Rouen vor ein paar Jahren zu einer völlig absurden Strafzahlung von 90889,81€ verdonnert worden. Was war vorgefallen? Ordner hatten die mitgereisten Strasbourgois angegriffen, weil diese auf dem Zaun waren, um mit der Mannschaft abzuklatschen. Bittere Geschichte. Alle Infos findet Ihr auf der Seite. Wer ein paar Cent übrig hat, kann damit gern etwas Gutes tun und sich mit den Ultra Boys solidarisieren.

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Die Stimmung war bei unseren Freunden natürlich erstmal im Eimer. Der Plan, mit Pierre-Luc und ein paar anderen noch Flammkuchen essen zu gehen, wurde erstmal geknickt. Zumal es auf der späteren Party noch etwas zu Essen geben sollte. Also lotste uns unser Freund Pierre Luc (der Anno Drölfzig sogar schon mal Einwechselspieler der Gruppa beim Benny-Cup war) in ein Gewerbegebiet außerhalb von Strasbourg. Dort hatten die Straßburger einen Club gemietet mit allem drum und dran. Sie hatten sich echt richtig viel Mühe gegeben. Alte Fahnen aus der UB’90 Geschichte zierten den Dancefloor und für wenig Geld gab es Essen und Trinken bis zum geht nicht mehr. Wobei mir die Würstchen mit ihrer merkwürdig rosa-violetten Färbung etwas gruselig vorkamen. Also lief ich mal eben zu den Biertischen, wo die Gruppa gerade mit Kenny (dem alten Vorsänger der Ultra Boys) ins Schwadronieren geraten war und fragte, wie die Wurst schmeckte. Die Jungs hoben allesamt ihre Daumen und damit war das Ding vom Tisch beziehungsweise eher auf dem Tisch, denn nun wollte ich auch eine. Maxi meinte, dass sei die übliche Lebensmittelfarbe in der Gegend. Er sei erst kürzlich in einer Fleischerei gewesen und da sahen wohl alles so aus, schmeckte aber super. Nor – den. Die Party kam derweil etwas schwer in Gang, weil natürlich erstmal der Frust weggesoffen werden musste. Nach weniger als 2 Stunden war dieses Pensum dann allerdings erreicht und es entwickelte sich eine sudelige Ultra-Party wie sie im Buche steht. Irgendwann war dann auch Petit Louis am Platz. Der hat doch im Moment Stadionverbot und musste arbeiten. Scheiß drauf. Jetzt konnten wir etwas plaudern, beziehungsweise er kiffte sich mit seinem Kumpel erstmal die Birne weg. Ein Teil der Berliner und Karlsruher war dann in Richtung Karlsruhe aufgebrochen, was den Rest jedoch nicht aufhielt weiterzufeiern. Im Gegenteil. Ich dachte, ich könnte im 9er etwas Ruhe finden, da wurde plötzlich die Auswärtstrommel rausgeholt und die Meute feierte vor dem Club mit Bengalos und Rauch und Mische umherspritzen und Pogen und eklig sein. Junge Junge. Eigentlich waren unserer Reisegruppe klare Schlafplätze zugeordnet, doch irgendwie drohte das alles im Schnaps unterzugehen. Ich hatte den Eindruck neben Pierre-Luc der einzig Nüchterne auf der Party zu sein. Als er mir anbot, mit in seine Bude zu kommen, sagte ich sofort “oui”. Ich brauchte dringlich Schlaf. Wir nahmen noch den betrunkenen GSB-Tête mit und ließen den Rest weiter absaufen. Jetzt gab es keinen Fahrer mehr. Okay. Aber das ist doch besser als mit einem fahruntauglichen Fahrer unterwegs zu sein. Berichten zu Folge schliefen die Jungs also im Unkraut neben den 9ern, beziehungsweise trommelten bis zum Morgen, um dann gegen 07:00 Uhr noch ins Ultras-Lokal zu fahren, um dort weiter zu saufen und zu trommeln.

Uns erging es anders. Tête und ich versuchten möglichst leise zu sein, um Pierre Lucs Freundin nicht zu wecken und schliefen friedlich locker 5 Stunden mitten im Herzen von Strasbourg. An meine Träume kann ich mich nicht erinnern, aber ich bin mir sicher, dass französische Stadiongesänge darin vorkamen. Ich bekam den Ohrwurm gar nicht mehr raus. Was für ein fulminanter Start ins Wochenende! Grandios.