Nachdem enttäuschenden 2:2 im Hinspiel, war heute der entscheidende Tag gekommen. Würde unsere Hertha endlich einmal in einer zwingenden Situation, zwingend handeln? Können wir in die Gruppenphase des Uefacups einziehen? In gespannter Verfassung und mit Reizhusten im Gepäck, fuhren wir in pechschwarzer Nacht von Neukölln aus zum Alex. Die dortige Ruhe täuschte, denn es hatten sich klammheimlich schon etwa 70 Herthaner hinter einem Bus versammelt. Vor dem Morgengrauen gab es Bier, Pizza, Blutwurz und Kurze, gewürzt mit guter Laune. Wie man so schön sagt „Auswärts eben!“. Nach einigen Stunden entspannter Fahrt und klebereichen Kurzpausen, kamen wir an die Deutsch-Dänische Grenze, wo wir von einer ausführlichen Polizeikontrolle aufgehalten wurden. Zu der Zeit sickerte langsam durch, dass etwa 30 Berliner und ein Auto aus Karlsruhe die Grenze nicht überqueren durften. Mit keiner vernünftigen Erklärung wurden sie wieder zurück geschickt, was für unsere Karlsruher Freunde eine sinnlose Fahrt von 1600km bedeutete. Es wurden Leute zurückgeschickt, die noch nie im Zusammenhang mit Gewalt auffällig geworden sind, oder sich auf eine andere Weise Strafbar gemacht haben! Ein Skandal, auch für das moderne Europa.
Der Bus fuhr trotz allem weiter, in Dänemark nur noch mit 80km/h was die Fahrtzeit verlängerte, in Richtung Odense. Vom Land war aufgrund des trüben Wetters nichts zu sehen. Am Zielort angekommen sah man zahllose Hütten die hinter verklinkerten Wänden versteckt waren, dazwischen Lydl, Netto und Plus, dann wieder Klinker und nochmals Klinker und dann waren wir am Stadion. Die Kontrollen am Eingang waren human bis lasch, scheinbar ticken die Uhren in Sachen ‚Sicherheitswahn‘ in Dänemark noch ein bisschen anders. So war auch das Stadion nicht vergleichbar mit deutschen Stadien, die mit Sicherheitszäunen, Absperrungen bis hin zu ‚Gästekäfigen‘ hinter Plexiglas, zumindest in unserer Liga, allesamt ausgestattet sind. Im „Fionia-Park“ gab es ähnliches nicht, ein kleiner Zaun von etwa 1m Höhe trennt den Block vom Spielfeld! Ansonsten kann das Stadion gut 15.000 Zuschauer fassen und ist Teilüberdacht. Ein schönes Stadion, dass man auch endlich mal wieder getrost „Fussballstadion“ nennen kann.
Unsere Mannschaft legte vom Anpfiff an motiviert los, hervorzuheben sind Giminez, Simunic und Dardai die um nahezu jeden Ball kämpften. Doch wie so oft konnte trotz teils guter Tormöglichkeiten kein Tor erzielt werden. Der Druck auf die entscheidende zweite Halbzeit nahm also zu und Hertha war ihm nicht gewachsen. Nach vorne gelang zunehmend weniger, die Mannschaft wurde nervös, so auch der Torwart. Durch einen Fehler, ‚wie er im Buche steht‘, von Christian Fiedler konnten die Dänen in der 60. Minute durch Timm in Führung gehen. Hertha spielte daraufhin umständlich und ungefährlich. So war kurze Zeit später der befürchtete Ausschied Tatsache. Wiedereinmal verschwindet Hertha glanzlos und peinlich von Europas Fussballbühne.
Sämtliche Zaunfahnen wurden heute verkehrt herum aufgehangen, um zu zeigen das wir zu unseren Freunden stehen, die die Grenze nicht passieren durften. Die Stimmung war am Anfang gut und wurde dann aber, unerklärlicher Weise, immer schlechter. Ich möchte vom schlechtesten Auftritt auswärts seit langem sprechen. Da war sogar in Darmstadt mehr los. Nur ein Bruchteil der etwa 500 mutmaßlichen Gästefans beteiligte sich überhaupt akustisch. Ich verstehe den Unmut über die Mannschaftsleistung, aber wer nicht selbst alles gibt, kann auch nicht fordern das die Mannschaft alles gibt. Das seit dem Gegentreffer eigentlich alle aufgegeben haben finde ich peinlich.
Die Heimfans präsentierten zu Beginn viele Fahnen und Konfetti was ganz gut aussah, dazu eine Aktion zur Anstoßzeit von 15.30. Das Spruchband konnte ich natürlich nicht verstehen. Was ihre Unterstützung anging, wirkten sie zu Beginn unkoordiniert. Kleinere Grüppchen, darunter ein kleinerer Haufen mit einer Ultras-Fahne unter dem Dach, stimmten verschiedene Lieder an. Es gab aber auch Wechselgesänge innerhalb der Kurve. Spätestens nach dem Führungstor erwachte das Stadion und zog an einem Strang. Auch die Gegentribüne beteiligte sich an Gesängen und stand komplett auf. Sogar „Scheiße Hertha, alles ist vorbei“, brachten die ‚Sitzplatzfans‘ uns lautstark entgegen. Mich hat die Atmosphäre beeindruckt.
Betrübt wurde die Heimfahrt angetreten. Erst nach einigen Stunden Erholung, war die Busfahrt wieder unterhaltsam. Heute im wahrsten Sinne des Wortes. Gab es doch tatsächlich ernstgemeinte anthropologische Diskussionen. Um 2 Uhr war ich mit Arne wieder in Neukölln und bei ein paar Nudeln von Vorgestern fiel uns auf:
Das war das letzte Spiel im Uefacup, für mindestens ein Jahr. Es wird einen Herbst ohne Europapokal geben!
Fazit: Es ist schlimm, dass Peinlichkeit zur Routine werden kann.
kbk 2006