Hertha BSC – Schlacke 04 2:2 (14. März 2015)

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Zuschauer: 59.156
In der Woche vor dem Spiel wurde bei der Gruppa mal wieder der Pinsel geschwungen. Ey, malen entspannt so! Lasst die Glotze mal aus und malt ne Runde. Es wirkt Wunder. Dieses Mal steht nicht einfach „Gruppa Süd“ oder „Rudelbums“ auf dem Stoff. Der neue Doppelhalter trägt ein kleines bisschen mehr Protest in die Kurve. „Mehr Fußball – Weniger Geschäft.“ Zugegeben, etwas plakativ, dafür aber umso mehr wahr. Muss das noch weiter erläutert werden? Eigentlich nicht, ich mache es trotzdem nochmal. Der ausschlaggebende Punkt in diesem Fall war dieser Monster-TV-Vertrag in England und die Reaktionen darauf hierzulande. Die Bundesliga müsse sich mit aller Kraft anstrengen, um in der Konkurrenz mit der Premier League mithalten zu können. Ob DFL-Chef Seifert, Rudi Völler oder sonstige Konsorten. Schnell ging es um „unpopuläre Maßnahmen“ wie die Einführung von Montagsspielen in der 1. Liga. Warum die Premier League das große Vorbild ist, weiß auch nur der Eduard Geyer, beziehungsweise die Dagobert Ducks dieser Welt. Dass der neue TV-Vertrag in England 7 Milliarden für die Klubs in die Runde wirft, erscheint als ein paradiesischer Zustand. Da wollen die Deutschen natürlich auch hin. Mehr, mehr, mehr. Welche absurden Summen im „Fußballgeschäft“ eine Rolle spielen ist weitläufig bekannt und breitgetratscht. Dass es wenige Gewinner und sehr viele Verlierer aufgrund dieser immer extremer werdenden Entwicklung gibt, genauso. Die beknackte „Win-Win-Situation“ ist die größte Lüge unseres Zeitalters. Selbst die Uefa hat mit ihrem „Financial Fairplay“ erkannt, dass gewisse Grenzen längst überschritten worden sind. Und trotzdem gibt es kaum Stimmen und noch weniger Bemühungen die Entwicklung mal zu bremsen und wieder zurückzuschrauben. 30 Millionen Euro Ablöse soll der VFL Wolfsburg bezahlt haben um den WM-Helden Schürrle a.k.a „Der Bankdrücker“ zu kaufen. Statt Brechreiz größter Jubel. Haut so eine Nachricht hier noch irgendjemanden um? Nein! Und das ist das schlimmste! Jeder weiß wie absurd die ganze Scheiße seit Jahren läuft und trotzdem passiert so wenig. Der neue Doppelhalter soll öffentlich daran erinnern, dass der Fußball kaputt gemacht wird, wenn das Geschäft mit ihm in dieser Entwicklung ungebremst fortgesetzt wird. Die Uhren können bekanntlich nicht zurückgedreht werden, aber, um auf diesem Niveau zu bleiben, ein Wagen auf dem Berg kann so angestoßen werden, dass er wieder ins Tal rollt. Es müssen nur mal ein paar mehr Leute schieben.

Jetzt sagt Ihr: „Dann geh doch nicht hin! Das bringt mehr als so ne Fahne hochzuhalten.“ Klar ist da etwas dran. Ich könnte jetzt sagen, dass der Verkauf von Eintrittskarten bei der Vermarktung bei weitem nicht so eine Rolle spielt, wie die Einschaltquoten im Fernsehen und die Anzahl der Pay-TV-Abos (das ist in England zumindest der entscheidende Knackpunkt), insofern solltet Ihr lieber den Fernseher aus dem Fenster werfen, aber eigentlich geht es hier um etwas anderes. Ja, Scheiße, eigentlich müssten wir den Weg von FCUM, Austria Salzburg, Chemie Leipzig oder neuerdings dem HFC Falke gehen. Aber ich bin doch trotzdem Herthafan und ich will auch das Hertha in der Bundesliga spielt und noch lieber wieder den Anschluss an die Europapokalränge schaffen kann. Ich habe keinen großen Bock darauf, der Konsequenz wegen nur noch Spiele zwischen den Hertha Amateuren und Meuselwitz zu sehen. Das Eklige ist, dass wir uns an alles so schnell gewöhnen. Wissen neuere Fan-Generationen überhaupt noch, dass Hertha bereits seit 2002 ausgegliedert ist und ein Nachdenken wie beim HSV, in Stuttgart oder sonst wo, darüber, ob man die Entwicklung noch akzeptieren kann, längst zu spät kommt?

Manchmal geht es nicht darum, wie viel eine Aktion bringt. Entscheidender ist es zu wissen, wie der eigene Standpunkt ist. Diesen öffentlich zu vertreten – das ist nicht wenig. Ja, Scheiße, eigentlich müsste ich Vegetarier sein, wenn ich sehe was in den Tier-Fabriken abgeht. Der Zenit ist auch dort längst überschritten. Aber ich esse trotzdem noch gern Fleisch. Dass wir noch ins Stadion gehen und den perversen „modernen Fußball“ unterstützen ist inkonsequent. Deswegen sollte allerdings nicht der Protest ausbleiben, sondern noch viel mehr in die Öffentlichkeit kommen. Für das Fußball-Geschäft gibt es nur eine vernünftige Richtung: Es muss abwärts gehen! Wenn die Bundesliga nicht mit der Premier League mithalten kann, ist das prima. Weiter so. Sucht Euch lieber andere Vorbilder.

Jetzt hab ich ganz schön viel über Scheiße geschrieben. Scheiße – das richtige Stichwort. Gegen die haben wir heute gespielt. Probleme hat die Herthaszene mit den Ruhrpottvögeln ja traditionell, das letzte Aufeinandertreffen im Herbst hat die alte Geschichte auch noch mal neu befeuert..

Bereits am Freitag war die Stadt von zahlreichen Schlackern aus dem ganzen Land bevölkert. Mein persönliches Highlight erlebte ich, als am Hackeschen Markt die S-Bahn-Türen aufgingen und ein Mob von völlig besoffenen Schlackern eine Holzbank (Ihr wisst schon, dieses Möbelstück der Bierzelte) hineingetragen wurde, auf der sie dann Platz nahmen, um „Ein Leben lang“ zu grölen. Wie im Bilderbuch! Da ich nach einem langen Arbeitstag noch etwas Fußball brauchte, gab ich mir den Klassiker Babelsberg-Bautzen und vertrete seither die These, dass Budissa Bautzen 9 Schlacker irgendwo in der Gegend aufgesammelt hat, um gegen die Bezahlung von 3-5 Veltins pro Person die Auswärtsfans der Sachsen zu mimen. Die Deutschlandhüte gab es noch gratis dazu.

Am Spieltag selbst fuhr ich mit Fever zum Frühstück der Szene. Wir palaverten etwas und schon brach der Mob auf. Dass wir die restliche Strecke mit dem Auto zurücklegten, war heute unser Glück. Aufgrund der erwähnten Vorkommnisse beim Hinspiel waren die Bullen heute noch motivierter als die Hools auf beiden Seiten zusammen. Während auf dem Parkplatz vorm Olympiastadion Mannschaftswagen im Uhrzeigersinn die zu diesem Zeitpunkt wenigen parkenden Fahrzeuge im Minutentakt umkurvten, vollzog die Knüppelgarde am S-Bahnhof Olympiastadion den sogenannten „Zugriff“ auf den Zugfahrermob im großen Stil. Das Ende vom Lied waren 71 Inhaftierte in Tempelhof. Was soll ich dazu noch mehr sagen?

Im Stadion das gleiche Bild wie in der Stadt: Gästefans soweit das Auge reichte. Es sah fast aus wie bei einem beschissenen Pokalfinale. Die Unerfahrenen mögen auf den ersten Blick erfreut am blau-weißen Anblick gewesen sein, die Erfahrenen erkennen die Grenzen zwischen Blau-Weiß und Königsblau sofort. Im Oberring über der Kurve erblickte die neue Ostkurven-Fahne heute unter Applaus der Menge das Licht der Welt. Überhaupt war die Heimseite sehr motiviert beim Blick auf die Antagonisten. Mal ehrlich, so ätzend der Gegner auch ist, dass es überhaupt mal einen richtigen Gegner auf den Rängen gibt, ist schon ganz geil. So ist wenigstens etwas Feuer drin. Insgesamt war der Gästeauftritt absolut okay, obgleich ich der Meinung bin, dass es noch bessere Auftritte gab. Die Ostkurve war besser drauf als zuletzt.
Hertha BSC - Schalke 04 007
Kommen wir zum Spiel unserer Hertha. Seit Pal Dardai da ist, scheint es tatsächlich etwas besser zu laufen. Wobei das 1:0 gegen Augsburg im letzten Moment fiel und das 0:0 in Stuttgart gegen die wohl schlechteste Mannschaft der Stunde errungen wurde. Trotzdem ist ein 2:2 gegen Schlacke natürlich gut. Der Schmerz darüber, dass der dämliche Matip ausgerechnet in der 90 Minuten den sogar möglich gewesenen Sieg kaputt gemacht hat, bleibt allerdings. Änis Ben-Hatira traf heute zum 1:0 und feierte für einen krebskranken Jungen sein Tor mit einer Spiderman-Maske. Dass der Schiri dafür Gelb gab, Dardai was von der Mannschaftskasse faselte und Langkamp die Aktion sogar im RBB öffentlich kritisierte, spricht nicht gerade für die soziale Attitüde, die der Fußball offiziell so gern verkörpern möchte. Schämt Euch. Nachdem kurz vor der Pause Leroy Sané zum 1:1 getroffen hatte, war in dem Spiel erstaunlicherweise über weite Strecken alles möglich. Unser Spieler Genki Haraguchi hatte uns in der 81. Minute sogar zum zweiten Mal in Führung gebracht. Spätestens jetzt war die Heimseite bester Laune. Einer unserer Vorsänger animierte daraufhin auch Teile der Gegentribüne zu einem lauten „Wer nicht hüpft, der ist ein Schlacker“. Alles sah richtig gut aus – auch die Ergebnisse der anderen Spiele – bis eben Matip doch noch zum Ausgleich traf. Four-letter word.

Nach dem Spiel gab es heute mal nicht den üblichen Ablauf. Während der eine Teil zur Geburtstagsfeier vom Bürgermeister trullerte, nahm ich mit Fritze am Junggesellenabschied von Brille teil. Der erste JGA meines Lebens. Ich sehe diesen Trend ziemlich kritisch, aber die heutige Mischpoke verzichtete auf sämtlichen Murks und trank einfach Bier und Futschi in ein paar bekannten Eckkneipen. Wir haben es natürlich alle vorher gewusst und so gab es schon bald nach dem ersten Bier die ersten Komplikationen mit Ruhrpottassis, die sich sogar in entlegenere Bezirke ausgebreitet hatten. Es wurde also doch noch mal nicklig.

Übrigens, dabei fällt mir ein, dass ich noch was zum Thema Bahnhof Zoo sagen wollte. Unsere erste Station nach dem Spiel war nämlich klassisch ein Bier bei „Ullrich“. Ich war schon lange nicht mehr dort und erst recht nicht nach Heimspielen. Wer mal ein Buch schreiben möchte, möge sich einen Klappstuhl mitbringen und einfach mal eine gute Stunde lang die Menschen bei ihrem wilden Treiben beobachten. Sensationell! Direkt am U-Bahn-Aufgang pinkelte einer im hohen Strahl, so dass wir fast ausweichen mussten. Atze I spuckte auf Kalle I und dieser wieder zurück, während sich Atze II versuchte durch extremes Winden und extrem lautes Lamentieren aus dem festen Polizeigriff zu befreien. Zeitgleich kachelte Kalle II mit seinem Clio auf Atze III, der daraufhin mit üblem Mord drohte, während Atze IV versuchte durch einen geschickten Flaschenwurf einen der Schlacker Bewerber zur „Kutte des Jahres“ zu treffen, Kalle III vor plötzlicher Verliebtheit versuchte den Hintern von Cindy I zu begrabbeln und Kalle IV Kalle V fragte, ob er etwas Heroin gebrauchen könnte, welcher aber ablehnte und stattdessen beschloss, das letzte Drittel seiner Pfeffiflasche zu exen. Mein lieber Schwan. Das muss ich mir irgendwann noch mal geben – oder auch nicht.

Ein Ende fand der ereignisreiche Tag, nach dem ich bei Quadrati auch noch zwei Stunden am Stück tanzte, mit einem Schokoriegel-Gelage auf dem eigenen Sofa.

Fazit: Es war mal wieder gut was los.

KBK’15